Visualisierung im Rahmen von Change und Transformation.

Heute plaudere ich mal etwas aus dem Nähkästchen. Und zwar aus der Sicht der stillen Beobachterin zu einem Thema, was wirklich jede größere Organisation betrifft. Ich denke hier laut, ohne eine Change-Expertin zu sein und natürlich ohne Namensnennung, es sei denn, es ist eindeutig positiv und in der Presse nachlesbar. Ansonsten liegt es mir absolut fern, irgendwas zubeurteilen. Ich beobachte nur und stelle mir selber ein paar Fragen zu den immer wiederkehrenden Themen. Denn Change betrifft ja auch mich selbst.


Change und Transformation ist das Thema, mit dem sich augenscheinlich alle Konzerne und größere Unternehmen beschäftigen. Als Visualisierung-Expertin bin ich immer mitten drin. Ich bekomme die Unsicherheit und die Angst mit, die jede Veränderung mit sich bringt. Ich bekomme die Notwendigkeit zur Veränderung mit, um am Markt bestehen bleiben zu können. Ich bekomme das Ringen um Antworten mit, wie genau diese Veränderung denn nun gestaltet werden soll. Und hier komme ich zum Einsatz. Ich gestalte im wahrsten Sinne des Wortes diese Veränderung mit. Ich gebe der Zukunft, die noch so wage in den Köpfen vor sich hin blubbert, eine Gestalt. Ich zeichne dabei nichts, was in meinem Kopf ist, sondern bin lediglich das Werkzeug für die Bilder in den Köpfen der anderen. Mega spannend, wie ich finde. Ich liebe das!

 

Das Interessante an meiner Position ist, dass ich erstens eine Helikopter-Perspektive einnehmen kann, weil ich nicht im System stecke und zweitens vergleichen kann. Da ich in fast jedem größeren Unternehmen schon mal gebucht worden bin, kann ich erkennen, wo es schon ganz gut läuft mit dem Change und wo noch ein längerer Weg zu gehen ist. 


Ich bin Visualisiererin und keine Transformations-Begleiterin. Durch diese Brille kann ich das Geschehen nur sehen. Dass, was ich auf jeden Fall beurteilen kann, ist, dass Bilder in diesem Prozess immer helfen. Egal ob am Anfang eines solchen Weges oder mitten drin. Denn die Reise ist immer mit einem großen Fragezeichen verbunden. Auch wenn das Ziel vielleicht klar ist, so sind doch die einzelnen Wegstrecken häufig gar nicht klar. Und wenn diese für eine Person oder Abteilung klar scheint, ist es häufig für den Rest der Mannschaft nicht. Bilder helfen dabei, die Unklarheiten aufzudecken und Verständnis über den Ist-Zustand zu erreichen. Bilder helfen auch, ein Ziel oder Teilstrecken greifbar und verständlich zu vermitteln. 




Fangen wir doch mal hinten an: bei dem Ziel. Häufig bin ich gebucht, wenn Arbeitsweisen oder Prozesse neu definiert werden. Da zeichne ich zum Beispiel manchmal einen Weg mit einzelnen Wegstrecken. Wenn ich so einen Weg zeichne, frage ich immer, was denn am Ende des Weges als Ziel stehen soll. Der Weg muss ja irgendwo hin führen. Aber es ist erstaunlich, wie viele gar nicht wissen, was das Ziel ist. Höhere Umsatzzahlen reißen weder die Mitarbeiter noch die Kunden vom Hocker. Ganz davon abgesehen, dass sich viele Märkte auch gesättigt anfühlen und man keine Ahnung hat, wie denn wirklich "noch mehr" gehen soll. Mehr will eh kaum noch jemand arbeiten. Größere Kunden- oder Mitarbeiterzufriedenheit ist dann schon eher ein Ziel, wo die Teilnehmenden des Workshops emotional mitgehen. 


Über ein Bild transportiert, zaubert das Ziel entweder ein nickenden Lächeln ins Gesicht der Mitarbeiter oder eben nicht. Es motiviert oder nicht. 

Zeichne ich ein Symbol für höhere Umsatzzahlen löst das jedenfalls andere Emotionen aus als ein Bild von glücklichen Mitarbeitern. 



Auf dem Weg der Transformation gibt es diverse Worte, die ich bei fast jedem Projekt zeichnen darf. Transparenz, Agilität, Silodenken aufheben, Kommunikation und Kundenorientierung sind die gängigsten. Dicht gefolgt von Automatisierung, Innovationsfähigkeit, Nachhaltigkeit, Ehrlichkeit, Mut/Verantwortung und Diversität. 

Interessant ist es für mich, diese Begriffe wirklich mit Leben zu füllen. Was genau bedeutet denn Transparenz? Gilt das nur untereinander oder auch von oben nach unten und unten nach oben? Und wird es auch wirklich so gelebt? Wirklich? Und ist nicht New Work gar nicht mehr von oben nach unten? Wie kann man das in einem großen Unternehmen umsetzen? Was verstehen die Teilnehmenden unter dem Begriff Agilität? Schnell neue Ideen aus dem Hut zaubern, wieder verwerfen, noch mal neu denken? Und noch mal und noch mal? Wenn das Agilität ist, ist dann auch genügend Zeit und Freiraum dafür da? Wie verträgt sich Agilität mit Automatisierung? Und wenn nein, wie kann man das lösen? Und bedeutet Automatisierung wirklich keine Entlassungen? Und wenn Entlassungen daraus erfolgen, wird das transparent kommuniziert? Oder wie nachhaltig wird wirklich gewirtschaftet? 



Ich habe mal ein Strategiebild für eine Bank gezeichnet zum Thema Nachhaltigkeit. Es hat mich beeindruckt, dass auch eine wirtschaftlich denkende Bank auf das Thema Nachhaltigkeit setzt und beispielsweise nur in bestimmte Fonts investiert und damit auf lukrative Business-Optionen verzichtet. Andere Firmen honorieren Fahrradfahren der Mitarbeitenden oder schränken stark Flugreisen ein. Positiv überrascht war ich neulich in der Fielmann-Akademie, wo es ausschließlich nur Bio-Essen in der Kantine gab. Seit 1986 pflanzt diese Firma schon für jeden Mitarbeiter einen Baum und betreibt 5 Bio-Bauernhöfe in Schleswig Holstein. Wenn ich Bilder (wie Bio-Bauernhöfe) in einem Graphic Recording zeichnen kann bei dem Wort "Nachhaltigkeit", wird das Bild plötzlich lebendiger und glaubwürdiger.


Eine Veränderung ist nicht wirklich einfach. Oder warum esse ich noch immer Gummibärchen, wo ich doch weiß, dass da viel Zucker und Gelatine drin ist? Diese Transformation hätte ich doch jetzt echt mal längst hinbekommen können.

 

Häufig bemerke ich, dass die Führung sich mehr Mut, Verantwortung und Transparenz von der Mannschaft wünscht und die Mannschaft wünscht sich Mut, Verantwortung und Transparenz in der Führung. Ups. Da stimmt dann ja wohl was nicht. 


Wenn ich in so einem Workshop bin, wo die eine Ebene sich die Transformation von der anderen Ebene wünscht, bin ich dankbar, wenn ich nicht alleine im Raum sitze, sondern noch ein guter Transformations-Begleiter mit an Bord ist. Denn hier kann ich durch meine Bilder zwar die gegenseitigen Schuldzuweisungen aufzeichnen und damit auch sichtbar machen. (In der Regel kommt es häufig aber noch nicht mal dazu, weil diese Gespräche nicht offen vor der anderen Ebene geführt werden, sondern in separaten Workshops). Ein guter Transformation-Begleiter, wie zum Beispiel ein erfahrener Facilitator kann hier aber noch viel mehr bewirken, wenn die Führung es denn auch wirklich will. 


Die Bilder bleiben aber dennoch nach so einem Workshop erhalten. Und man kann diese nutzen, um Ungleichgewichte, Unklarheiten, Schuldzuweisungen oder auch Ängste sichtbar werden zu lassen, um dann damit zu arbeiten. So eine Visualisierung ist dann am Ende nicht immer schön. Nicht jedes live entstandene Graphic Recording ist dafür gedacht, die Bürowände zu schmücken. Manche sind einzig und alleine nur dafür gedacht, o.g. Probleme sichtbar werden zu lassen. Mein Graphic-Recorder-Herz schlägt dann sogar besonders doll, weil ich genau dann merke, wie sinnvoll so ein Bild auch eingesetzt werden kann. Wenn die Visualisierung am Ende ihren Beitrag dazu gegeben hat, ein Unternehmen zukunftsfähig zu machen und ganz eigene Antworten auf den individuellen Change-Prozess gefunden hat. Wenn das Bild am Ende auch aufzeigen kann, WIE genau man Silodenken aufheben kann, mutiger Entscheidungen treffen kann oder wie man aufhört, Gummibärchen zu essen. 


Denn letztendlich verhält es sich mit dem Change in einer Organisation genauso, wie mit dem Veränderungswillen des Individuums. Man muss es wirklich, wirklich selber wollen, sonst wird das nix. Egal ob es Gummibärchen, Zigaretten oder gewohnte Arbeitsweisen sind, die man gegen etwas anderes, besseres eintauschen möchte. Und bei einer Organisation bedeutet es, daß vor allem erst mal die Führung wirklich wollen muss. Loslassen, neu denken, anders machen, Mut haben, darauf einlassen, Vertrauen haben, Fehler machen und Fehler akzeptieren, verzichten, dienen, helfen, einfach machen. Und es bedeutet auch, zu akzeptieren, dass Change im eigenen Kopf und auch in den Köpfen der anderen nicht auf Knopfdruck funktioniert und sich dort vielleicht auch mal Hilfe holt. Übrigens hilft hier Meditation sehr gut!


Ich glaube, da darf ich noch das ein oder andere Bild zu zeichnen, um diesen Weg zu begleiten. Es bleibt spannend!

Ich bleibe neugierig, Ihre Martina Grigoleit 

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Kommentare: 1
  • #1

    Thomas (Sonntag, 05 Juni 2022 19:41)

    Danke für den spannenden Einblick, bitte bleib' neugierig - und vor allem lass' uns bitte endlich wissen, wie man mit dem Gummibärchen-essen aufhört ;-).